Lektion 1 – Anhauchen

Vorbemerkung zu Lektionen 1 & 2: In diesem Teil des Kurses steigst du ins Alphornblasen ein. Du spielst erste Töne und einfache Tonfolgen nach Gehör. Daneben erhältst du Einblick in Geschichte und Gegenwart des Alphorns. Nimm dir für diese beiden Lektion etwa ein bis zwei Wochen Zeit.

In dieser Lektion lernst dein Instrument kennen und hauchst ihm die ersten Töne ein.

Das Alphorn

In der bekannten Systematik von Hornbostel-Sachs gehört das Alphorn zur Familie der Naturtrompeten. Deren Ton wird durch die Vibration der Lippen generiert („Labrosones“ = Lippentöner). Während bei chromatischen Trompeten die Tonhöhe mittels Ventilen (Trompete), eines Zugmechanismus (Posaune) oder Grifflöchern (Zink) in Halbtonschritten variiert werden kann, sind Naturtrompeten – vereinfacht gesagt – simple Rohre mit einem Becher am Schluss. Beim Alphorn ist das Rohr konisch, d.h. der Durchmesser nimmt zum Becher hin zu, im Gegensatz zum zylindrischen Rohr bei einer Ventil-Trompete. Aufgrund der Tongeneration wird das Alphorn manchmal auch den „Blechbläsern“ zugeordnet (das macht beispielsweise der Eidgenössische Jodelverband) – während das Saxophon zu den „Holzbläsern“ gehört. In der Tat ist die Spieltechnik von Alphorn und (anderen) Blechblasinstrumenten weitgehend identisch. Von anderen Naturtrompeten unterscheidet sich das Alphorn durch seine Herkunft (ein „Hirtenhorn“ aus dem alpinen Umfeld), seine Form und das Baumaterial Holz. Allerdings gelten auch moderne Alphörner aus Karbonfaser immer noch als Alphorn, und selbst aus Blech hergestellte Bündner Tibas werden manchmal zu den Alphörnern gezählt.

Bis Ende 19. Jahrhundert wurden Alphörner in unterschiedlichen Längen und Formen hergestellt. Die Instrumente auf künstlerischen Darstellungen sowie erhaltene historische Alphörner waren oft deutlich kürzer und dünner / enger als die heute verbreiteten Alphörner.

Oberhasli 1805. Diese Form des Alphorn wird auch als „Unspunnenhorn“ bezeichnet.

Heute sind zwei Varianten des Alphorns verbreitet: das bekannte lange Alphorn (das „Alphorn“ im eigentlichen Sinn) und der Büchel. Der Büchel stammt aus der Innerschweiz (insbesondere aus dem Muotathal) und fristet heute ein Schattendasein. Mit seiner spezifischen Form erinnert er an eine Trompete. Er ist deutlich schwieriger zu spielen und die kurzen Stücke klingen für moderne Ohren archaisch und schräg. Die Stimmung des Büchels liegt üblicherweise mit B oder C etwa eine halbe Oktave über dem langen Alphorn. An Jodlerfesten sieht man auch Büchel in As, die allerdings kaum wie „echte“ Büchel klingen. Hier ein kurzes Video mit einem Muotathaler Büchel-Gsätzli:

Dominik Marty mit seinem Büchel auf der Alp Zwischenmythen.

Mit „Alphorn“ ist meist die lange, gestreckte Version mit dem gebogenen grossen Becher gemeint. Verbreitet sind zwei Stimmungen: das Alphorn in F mit einer Länge von 368cm und das Alphorn in Fis/Ges mit 347cm. Andere Stimmungen (von E bis As) sind selten. Fis-Hörner gelten in der Schweiz als Standard. Diese etwas eigenartige Tonart-Wahl ist ein historischer Unfall: ein Alphornbauer hatte ein besonders gut klingendes Horn gebaut, das dann mehrfach kopiert wurde. Ausserhalb der Schweiz – und auch in gewissen Regionen wie z.B. Zürich – wird auf F-Hörnern gespielt. Diese Stimmung eignet sich natürlich besser für das Zusammenspiel mit anderen Instrumenten. Ob F- oder Fis-Hörner besser klingen, ist Geschmacksache.

Mein dreiteiliges Alphorn von Tobias Bärtschi. Anstelle eines einfachen Fässchens habe ich einen Stimmzug.

Alphornmodelle unterscheiden sich beim Becher. Traditionell sind die Becher von „Berner“ Hörnern etwas voluminöser und gross gebogen, während die „Innerschweizer“ Hörner etwas enger und flacher geformt sind. Inzwischen bewegen sich viele Alphornbauer irgendwo dazwischen. Dabei ist die Form des Bechers für die Intonation des Alphorns zentral; nur dank des gebogenen Bechers ist es möglich, auf dem Alphorn die Naturtonreihe harmonisch sauber zu spielen.

Die meisten Alphörner bestehen aus drei Teilen, die mittels Aluminium- oder Messingbuchsen zusammengesteckt werden. Am obersten Teil, dem „Handrohr“, befindet sich in der Regel das „Fässchen“, in welches das Mundstück gesteckt wird. Daran anschliessend steckt der „Mittelteil“ und schliesslich der Unterteil mit dem Becher. Einige Alphornbauer bieten auch Alphörner mit 4, 5 oder mehr Teilen an; diese Instrumente lassen sich einfacher transportieren, haben aber mehr kritische Verbindungen.

Holzhörner werden meist aus langsam wachsender Bergfichte hergestellt. Bevorzugt wird die seltene Variante der Haselfichte mit ihrer spezifischen Maserung; nur wenige Stämme erfüllen die Anforderungen an Klangholz. Viele Alphornbauer schwören zudem auf „Mondholz“ – im Winter um Neumond geschlagenes Holz. Neben Fichte ist auch Arve verbreitet. Arvenhörner haben mit verwachsenen Ästen einen besonderen Look und klingen wärmer (dafür weniger brilliant) als Fichte. Vereinzelt werden auch andere Holzarten wie Weymouth-Kiefer, Walnuss oder Kirsche verwendet.

Bei der Herstellung werden für jedes Teil zwei Hälften ausgehöhlt und dann verleimt. Meist kommt ein Hartholzring für den Becher und eine Umwickelung mit Pedigrohr als Schutz vor Dellen und Kratzern hinzu. Die Wicklung erhöht auch die Masse des Alphorns und verändert damit Ansprache und Klang – ungewickelte Hörner erlauben ein virtuoseres Spielen, verlangen aber ein höheres Mass an Kontrolle. Manchmal werden die Rohre auch aus verleimtem Furnier geformt. Neben Alphörnern aus Holz haben sich solche aus Carbon durchgesetzt – viele BläserInnen besitzen eins als Reisealphorn.

Weiterführende Informationen

  • Hier ein Video, wie Andreas Bader ein Alphorn baut. Auch bei der Uni Basel gibt es ein Video mit Matthias Wetter. Für eine Doku über die bayrischen Alphornbauer Biermaier siehe hier. Und wenn du noch mehr solche Videos willst, kannst du schauen wie’s Sara macht (bei Heinz Tschiemer). In diesem Video zeigt Tobias Bärtschi, wie er seine Alphörner mit spektakulären Intarsien verziert. Ausführliche Beschreibungen über die Herstellung von Alphörnern findest du in der Sammlung von Maturarbeiten bei Matthias Wetter; sehr vollständig ist dort die Abschlussarbeit seiner Tochter Lea. Für eine Beschreibung der Herstellung eines Alphorns durch Gérald Pot siehe hier,
  • Lust darauf, Dein eigenes Instrument zu bauen? In der Rubrik Agenda/Baukurse findest Du entsprechende Angebote.
  • Reinholf F. Felber (2019). Adolf Oberli (1879-1972). Illustriert die zentrale Rolle der Alphornbauer in der Geschichte des Alphorns. Der Weissküfer Adolf Oberli hat in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die rustikalen Naturhörner zum Musikinstrument weiterentwickelt. Oberli sieht man auch in der kurzen SRF-Doku „Der letzte Alphornbauer“ von 1958. Hier noch ein weiteres Video aus einer Alphornmacherei von 1929. In diesem Video von 1946 und diesem Video von 1969 (Julius Emmenegger) wird der Becherteil aus einem Baumstamm geschlagen.
  • Das Thema Mondholz wird in der Wissenschaft kontrovers diskutiert. Die Befürworter verweisen gerne auf Studien des ehemaligen ETH-Professors und „Mondholz-Gurus“ Ernst Zürcher – hier ein passender Zeitungsartikel. Hier dagegen eine kritische Einschätzung der TU Dresden. Meine Kurzversion zur Debatte: Der Mondzyklus hat einen (kleinen) statistisch beobachtbaren, positiven Einfluss auf Struktureigenschaften des geschlagenen Holzes (Feuchtigkeitsgrad, Resistenz gegen Schädlinge und damit Stabilität bei der Trocknung); es fehlt aber ein solider wissenschaftlicher Nachweis, dass diese Vorteile nach Trocknung und Verarbeitung weiter bestehen und ein Mondholz-Alphorn deswegen besser klingt. Möglicherweise erübrigt sich die Diskussion über Mondholz auch bald durch eine neue Technik: thermische Alterung verbessert die Struktureigenschaften von Holz deutlich stärker als der Mondzyklus; bisher werden thermisch behandelte Hölzer aber erst im Gitarrenbau verwendet.

Mein Alphorn

Zum Einstieg ideal sind Erbstücke oder Leihgaben aus dem Familien- oder Freundeskreis. Wer nicht so zu einem blasbaren Alphorn kommt, hat folgende Optionen:

  • Mietinstrumente. Alphornbauer und grössere Instrumentenhändler bieten manchmal die Möglichkeit zum Mietkauf. Üblicherweise beträgt der Mietpreis rund 80-100 CHF pro Monat und wird später beim Kauf eines Instruments angerechnet. Diese Lösung kann sinnvoll sein, wenn du unsicher bist, ob deine aktuelle Begeisterung die ersten drei Monate überdauert; bei Mietverträgen mit einer längeren Mindestdauer wäre ich allerdings vorsichtig. Ein Miet-Kauf ist ein bisschen wie eine Verlobung: wenn später das Alphorn eines anderen Alphornbauers besser gefällt, landest du in einem Dilemma. Alphorn-Ensembles haben oft auch Leih-Instrumente für EinsteigerInnen – eine etwas offenere Beziehung.
  • Einsteigermodelle. Ein günstiges Einsteigermodell ist sicher 2-3 Jahre gut genug und lässt sich später Second-Hand – je nach Zustand – zu etwa 2/3 des Neupreises wieder verkaufen (z.B. an grössere Alphorn-Ensembles, die immer auf der Suche nach Leih-Instrumenten für ihre NeueinsteigerInnen sind). Allerdings funktioniert der spätere Wiederverkauf nur dann, wenn es in der Wohngegend eine gewisse Nachfrage gibt – ungesehen kauft kaum jemand ein Second-Hand-Horn. Auch Billigst-Alphörnern (z.B. in China produzierte Hörner) lassen sich kaum wieder-verkaufen. Preiswerte Einsteigermodelle gibt es beispielsweise bei Neumann ab einer Anfangsinvestition von etwa 1600-2000 CHF.
  • Second-Hand Instrumente. Natürlich gibt es gute Second-Hand-Instrumente, aber: Wer sich mit Alphörnern nicht auskennt, sollte alleine kein Second-Hand Instrument kaufen. Das gilt insbesondere für Angebote auf dem Internet. Es gibt zahlreiche Alphorn-SammlerInnen, welche die guten Angebote innerhalb kürzester Zeit abgrasen und den naiven SchnäppchenjägerInnen nur den Schund überlassen.
  • Giesskannen-Alphorn. Nach zahlreichen Versuchen kann ich ein improvisiertes Alphorn aus Baumarkt-Schläuchen und einer Giesskanne empfehlen. Natürlich tönt dieses Instrument nicht annähernd so gut wie ein echtes Alphorn, aber für das erste Lehrjahr ist es eine hervorragende Lösung. Denn – ganz ehrlich gesagt – Anfänger tönen auch auf einem Top-Horn furchtbar. Die Gesamtkosten für ein Giesskannen-Alphorn inklusive Mundstück belaufen sich auf weniger als 80 CHF und alles, was du auf diesem Instrument einübst, kannst du später 1:1 auf ein gutes Alphorn übertragen. Hier mein Blogpost dazu.
  • All-In: Wer es sich leisten will und kann, darf natürlich sofort ein gutes Alphorn kaufen. Wirklich gute Instrumente kosten zwischen 3’000 – 4’000 CHF. Hinzu kommen Tasche und Mundstück. Klar ist das ein gewisses Risiko, aber ein schönes Instrument steigert eben auch bei AnfängerInnen die Freude am Spiel. Die finanzielle Anfangsinvestition ist letztlich ein Rundungsfehler im Vergleich zu all der Zeit, die du in das Instrument investieren musst, bis es anständig klingt. Und selbst, wenn du schon nach kurzer Zeit wieder aufgibst: ein schönes Alphorn ist ein Schmuckstück für jedes Heim! Deine Suche nach einem passenden Alphorn kannst du hier starten.

Auf jeden Fall musst du bei der Anschaffung auf die Stimmung des Instruments achten. Ausserhalb der Schweiz wirst du dich wahrscheinlich für ein F-Horn entscheiden. In der Schweiz dagegen brauchst du für das Zusammenspiel meistens ein Fis-Horn. Meistens kann man mit Zwischenrohren oder einem zweiten Handrohr das gleiche Instrument in F und Fis spielen – eine solche Investition lohnt sich beim Kauf.

Die Pflege eines Alphorns ist einfach. Nimm das Alphorn nach dem Spielen auseinander und lasse die Teile stehend trocknen. Bei viel Speichelfluss kannst du das Rohr mit einem Saxophon-Wischer auswischen – die Meinungen sind geteilt, ob man das immer machen soll. Schmiere die Buchsen von Zeit zu Zeit mit einem neutralen Fett (z.B. Melkfett oder Lanolin). Normalerweise kommt ein Alphorn jahrelang ohne Service aus. Bei Rissen, lockeren Buchsen oder rauher Oberfläche im Rohr hilt dir dein Alphornbauer sicher weiter.

Noch ein paar Hinweise zur Vermeidung von Schäden: Hebe das zusammengesetzte Alphorn nie (!) am Handrohr vom Boden ab, sondern immer am Schwerpunkt. Nimm beim Transport immer (!) das Mundstück ab. Lege den Becher auf den Boden, wenn in einer Pause jemand über dein Alphorn stolpern könnte.

Das Mundstück

Standard – und vom Eidgenössischen Jodlerverband vorgeschrieben – sind Mundstücke aus Holz. Verbreitet sind Maulbeer-, Buchsbaum-, Rosen-, Ahorn-, Eiben- und Olivenholz. Seltener sind Mundstücke aus Kunststoff. Meistens sind Mundstücke und Alphörner untereinander kompatibel. Es gibt aber Ausnahmen (z.B. passen die in der Schweiz üblichen Mundstücke nicht auf Alphörner von Neumann oder Stocker).

Mundstück in Holz und Kunststoff

Das Innenleben des Mundstücks beginnt mit dem Kessel. Nach der engsten Stelle („Seele“ oder „Engnis“) läuft das Mundstück innwendig konisch auseinander und führt die Luft damit nahezu übergangslos ins Alphorn. Mundstücke unterschiedlicher Hersteller unterscheiden sich in ihrer Kesselform. Diese kann eher V- oder U-förmig sein und ist etwa 20-25mm tief. Auch Durchmesser („Bohrung“) und Länge der Seele beeinflussen den Klang.

Alphorn-Mundstück

Ein wichtiger Parameter bei der Wahl des Mundstücks ist der Kesseldurchmesser („D“ in der Grafik oben, manchmal auch „Kesselweite“, „Weite“ oder umgangssprachlich „Grösse“ genannt). Es als Innendurchmesser oben am Kessel gemessen. Normale Mundstücke haben einen Durchmesser von 17-20mm. Grosse Mundstücke sprechen besser an in den tiefen Lagen, kleine Mundstücke kommen leichter in die Höhe. Ohne triftiges Gegenargument solltest du ein Mundstück mit Kesseldurchmesser 18mm verwenden. Am besten startest du damit und bleibst dabei! Zwei Argumente: Erstens bringt es nichts, als Anfänger verschiedene Grössen auszuprobieren, denn wie willst du beurteilen, welches Mundstück zu dir passt? Du musst dich an das ungewohnte Ding gewöhnen, und nicht umgekehrt das Mundstück an dich anpassen. Zweitens ist es kontraproduktiv, bei Problemen das Mundstück zu wechseln, denn jedes Mal musst du deine Feinmotorik neu justieren. Das Mundstück ist eigentlich nie die Ursache für blastechnische Probleme. Nur in absoluten Ausnahmefällen, und dann unter Anleitung eines erfahrenen Alphornlehrers, kann ein Wechsel sinnvoll sein.

Ein valables Gegenargument ist deine allfällige Erfahrung mit anderen Blechblasinstrumenten. In dem Fall empfiehlt sich den Kesseldurchmesser in Richtung des bisherigen Mundstücks anzupassen – deshalb gibt es Übergrössen bis 24mm für Tuba-SpielerInnen. Alternativ kannst du auch dein gewohntes Mundstück mit einem Adapter verwenden. Das klingt gut – etwas brillianter und härter als ein Holzmundstück – bei Posaune und Waldhorn. Für das Waldhorn gibt es auch Holzmundstücke mit eingelassenem Waldhorn-Metallmundstück. Trompeten-Mundstücke eignen sich hingegen aufgrund ihrer Kesselform weniger für das Spiel mit Adapter; in dem Fall empfiehlt sich auf dem Alphorn ein etwas kleineres Holzmundstück.

Weiterführende Informationen:

Feines Anblasen

Ziel der Übung: Du kannst einen sauberen Ton anblasen und aushalten.

Entgegen vieler Vorurteile, brauchst du zum Alphornblasen keine „starke Lunge“. Im Gegenteil: wenn du als Anfänger mit voller Kraft in dein Alphorn pustest, wirst du im besten Fall einen scheusslichen Heuler produzieren. Blase deine ersten Töne darum so sanft wie möglich an. Blase ganz fein Luft durch eine kleine Öffnung zwischen deinen geschlossenen Lippen – stelle dir einen Fahrradschlauch vor, bei dem die Luft durch ein kleines Loch entweicht, oder imitiere das Brummen eines Moskitos. Wenn sich die Luft so an deinen Lippen reibt, entsteht ein feiner Ton. Lass dabei den Ton im Alphorn entstehen. Du hörst zuerst nur Luft durch das Alphorn strömen, erst mit der Reibung beginnen deine Lippen zu vibrieren und der Ton erklingt.

Beschränke dich die ersten Tage auf diese feine Anblasen. Möglicherweise wirst du unterschiedliche Tonhöhen produzieren – das ist gut so. Du kannst das feine Anblasen auch mit dem Mundstück versuchen, und dieses dann noch während du bläst auf das Alphorn stecken. In diesem Video zeige ich dir die Idee:

Versuche auch, den Ton nach dem Anblasen einige Sekunden zu halten. Die Audiofiles unten können dir dabei als Begleitung helfen: blase einen schönen Ton an, halte ihn und höre aufmerksam, wie sein Klang mit dem Synthesizer in der Aufnahme verschmilzt.

Begleitung zu Alphorn in F
Begleitung zu Alphorn in Fis/Ges

Die Geschichte des Alphorns ohne bla bla

Wie die Sage von Wilhelm Tell ist auch die Geschichte des Alphorns von vielen Mythen umgeben. Oft ist die Rede von einer jahrhundertealten Tradition, von originärer Swissness, von Ausdruck einer naturnahen und ursprünglichen Lebensweise. Dieses Bild wird bis heute von der Tourismusindustrie und national-konservativen Kräften bewirtschaftet. Es entspricht aber kaum dem aktuellen Stand der Forschung.

Klar ist, dass die Menschheit schon lange auf allen Kontinenten der Welt in Hörner bläst. Da ist zuerst einmal das australische Didgeridoo, dessen Geschichte mehrere Jahrtausende zurück reicht. Silberne „Posaunen“ sind unter anderem in der Bibel erwähnt. Ähnliche Metallhörner gab es im alten Ägypten (im Grab des Tutenchamon), in Indien, China, Tibet (Dung Chen) und bei den Kelten (Carnyx). Die antiken Römer bliesen auch in der heutigen Schweiz ins Horn (Lituus und Bucina). Auch andere Materialien wurden verwendet: gebrannter Ton (Etrusker), Elfenbein („Olifanten“), Schnecken (Mexiko) oder Tierhörner. Hörner aus Holz waren weit verbreitet – z.B. im Sudan (Waza) und Südamerika. Aufgrund linguistischer und archäologischer Hinweise kann man davon ausgehen, dass sie seit mehr als tausend Jahren in verschiedenen Regionen Europas präsent waren – so beispielsweise in Skandinavien (Luren – schon die Wikinger spielten eine Art Büchel!), Osteuropa (Trembita) und eben auch unterschiedliche Hirtenhörner im Alpenraum. Eine Abgrenzung zwischen diesen hölzernen Naturhörnern und dem – lange in verschiedenen Formen gebauten – Alphorn, wäre willkürlich. Das Alphorn ist keine Schweizer Erfindung.

Der Begriff „Alphorn“ taucht erstmals 1527 in der Buchhaltung des Klosters St. Urban bei Luzern auf. Das Kloster hatte einem durchreisenden Walliser (Walser?) mit seinem Alphorn 2 Batzen bezahlt. 1555 beobachtet der Zürcher Botaniker Conrad Gesner einen Alphornbläser in seinem natürlichen Habitat am Pilatus. Ansonsten gibt es nur wenige zuverlässige Quellen über die damalige Verbreitung und den Gebrauch des Alphorns in den Bergen.

Auf künstlerischen Darstellungen erscheinen Alphornbläser als musikalische Begleitung zu Alp- und Käsewirtschaft seit Ende des 16. Jahrhunderts. Das Alphorn spielt zum Alpaufzug, ruft die Kühe am Abend in den Stall (davon zeugt auch die musikalische Form des „Kühreihen“) und beruhigt die Tiere während des Melkens. Inwiefern dieses idyllische Bild repräsentativ für die damalige Realität war, lässt sich nicht verlässlich sagen. Ich bezweifle, dass die Sennen im 17. Jahrhundert nach einem anstrengenden Arbeitstag regelmässig die Musse hatten, ihre Kühe beim Melken mit einer Alphornweise zu verwöhnen. Und die damaligen rustikalen Hörner produzierten „Musik“ in einem sehr weiten Sinn.

Sammlung Schloss Burgdorf, 1765

Oft wird behauptet, das Alphorn sei auch als Signalinstrument verwendet worden. Dafür gibt es jedoch keine Belege. Gemäss Sage haben Bauern im Entlebuch und im Wallis schon im 13. und 14. Jahrhundert mit Hörnern die lokale Bürgerwehr zusammengerufen. Dabei, falls überhaupt, dürfte es sich aber eher um Tierhörner gehandelt haben. Die rührende Geschichte vom Senn, der via Alphorn mit seiner Geliebten auf der gegenüberliegenden Alp kommunizierte, ist wahrscheinlich ein Mythos des 19. Jahrhunderts.

Verbrieft ist hingegen, dass das Alphorn zur Unterhaltung im Tal gespielt wurde. Wie der Eintrag von 1527 beim Kloster St. Urban geht es auch bei den meisten anderen alten schriftlichen Quellen um Alphornbläser, die irgendwo ausserhalb der heimischen Bergwelt unterwegs waren: als Landstreicher, als exotische Hofmusikanten im Dienst des französischen Adels, auf städtischen Veranstaltungen oder als von Heimweh (hemvé) geplagte Söldner.

Ende des 18. Jahrhunderts war das Alphorn weitgehend aus den Bergen verschwunden. Gerade dieses Fehlen des Alphorns auf dem Land war im Zug der Romantik der Ursprung verschiedener städtischer Anstrengungen zu seiner „Wiederbelebung“. Dazu gehört das Unspunnenfest von 1805. Den Stadtberner Patriziern ging es nach Napoleons Abzug um die Restauration ihrer Macht über das aufmüpfige Berner Oberland. Gleichzeitig betrieb man Tourismus-Förderung beim europäischen Adel. Das Motto „Zur Ehre des Alphorns“ und das Wettblasen gaben der Veranstaltung einen patriotischen Touch. Es kamen aber nur sehr wenige Alphornbläser ans Fest. Der Kunstmaler Franz Niklaus König regte weitere Intiativen an, so die Alphornkurse unter Ferdinand Fürchtegott Huber (dem Komponisten von „Luegid vo Bärg und Tal“). Es gelang jedoch nicht, eine nachhaltig blühende Alphornszene ins Leben zu rufen. Diese beschränkte sich noch Ende des 19. Jahrhunderts auf touristische Folklore – sei es als bettelblasende Wegelagerei oder als von Hotels engagiertes Unterhaltungsprogramm (prominent beschrieben von Mark Twain nach seinem Ausflug auf die Rigi).

Bettelbläser Mitte 19. Jahrhundert (aus dem Skizzenbuch von Albert Hendschel)

Erst im 20. Jahrhundert stieg das Alphorn zum Nationalinstrument auf. Der 1910 gegründete Jodlerverband spielte dabei eine zentrale Rolle. Alphornkurse und Wettblasen wurden institutionalisiert, der Bau von Alphörnern standardisiert und professionalisiert. In dieser Zeit setzt sich die aktuelle Form des Alphorns durch – aus rustikalen Hörnern wurden Musikinstrumente. Alfred Leonz Gassmann ist als zentrale Persönlichkeit besonders zu erwähnen. Mit seinem „Alphornbüechli“ veröffentlichte er 1938 eine bis heute beliebte Notensammlung, inklusive einem 10-Punkte-Programm für AlphornistInnen. Gassmann erkannte auch das Potential der Geistigen Landesverteidigung: das politische Umfeld um den 2. Weltkrieg generierte einen Hunger nach national einenden Mythen, Traditionen und Symbolen. Spätestens mit der Landesausstellung von 1939 (inklusive patriotischem „Landigeist“) ging es mit dem Alphornblasen rasant aufwärts.

Seit Ende der 60er Jahren des letzten Jahrhunderts spielt die Geschichte des Alphorns in der Schweiz in zwei Parallelwelten. Da ist einerseits die Welt des Eidgenössischen Jodlerverbandes. Hier gelten rigide Regeln, wie traditionelles Alphornspiel abzulaufen hat. Man spielt in Tracht und mit inbrünstiger Agogik. Reformen brauchen viel Zeit. So wird beispielsweise das mehrstimmige Spiel erst in den 1970ern legalisiert und damit der Siegeszug der Alphornchoräle und Grossformationen eingeläutet. In der anderen Welt leben die „Wilden“ – all diejenigen, welche sich über die Regeln hinwegsetzen, sei es weil sie die offizielle Interpretation des „Ursprünglichen“ nicht teilen, sei es weil sie neue Möglichkeiten des Instruments ausloten wollen. So hat das Alphorn seinen Weg in Pop, Rock und Jazz gefunden und scheut auch nicht das Zusammenspiel mit Klassik, moderner E-Musik, elektronischer Musik oder den kulturellen Austausch über die Landesgrenzen hinaus.

Weiterführende Informationen: