Lektion 4 – Ansatz

In dieser Lektion lernst du, wie du den Ansatz aufbaust.

Luft und Spannung

Oft werden wir AlphornbläserInnen gefragt, wie wir denn die unterschiedlichen Töne generieren. Die korrekte Antwort lautet: „Durch das Zusammenspiel von Zunge und Lippen.“ Anfügen liesse sich noch: „…., wobei die Zunge 80% der Arbeit übernimmt.“ Als Illustration ein Video aus dem Tomographen:

Die Zunge steuert die Geschwindigkeit des Luftstroms. Die Luft gelangt aus der Lunge in die Mundhöhle und fliesst dort durch den Kanal zwischen Zunge und Gaumen zu deinen Lippen. Durch die Form der Zunge veränderst du den Durchmesser dieses Kanals. Drückst du die Zunge gegen den Gaumen, wird der Durchmesser kleiner. Dann passiert das Gleiche, wie wenn du einen Gartenschlauch an seinem Ende mit deinen Fingern zusammendrückst: das Wasser spritzt schnell und weit. Denn um dasselbe Volumen an Luft oder Wasser durchzulassen gilt: grosser Kanal = kleine Geschwindigkeit; enger Kanal = grosse Geschwindigkeit (das entspricht dem physikalischen „Venturi-Effekt“). In der Grafik siehst du, wie die Zunge (rot) den Luftkanal (blau) und damit die Luftgeschwindigkeit verändert.

In Lektion 2 hast du im Abschnitt Buzzing gelernt, dass deine Lippen als Generator der Schwingungen funktionieren. Wie wenn du gegen einen Grashalm pustest, um diesen zum Summen zu bringen, braucht es dazu eine bestimmte Spannung. Je schneller der Luftstrom, umso mehr Spannung braucht es. Wenn du die Tonhöhe veränderst, passen die Lippen die Spannung an, bewegen sich dabei aber sonst (fast) nicht.

  • Tiefe Töne = die Zunge liegt hinten im Mund (weiter Kanal) + weiche Lippenspannung
  • Hohe Tönen = die Zunge wölbt sich gegen den Gaumen (enger Kanal) + straffe Lippenspannung
  • Alle Töne = viel Luft!

Ansatz

Die Lippenspannung ist Voraussetzungen dafür, dass deine Lippen durch die anströmende Luft optimal schwingen. Um Spannung zu erzeugen, braucht es gegeneinander wirkende Kräfte. Drei Kräfte musst du beim Aufbau deines Ansatzes mobilisieren:

Zusammendrücken: Lege deine Vorderzähne aufeinander (kein Verkeilen). Dann schliesse deine Lippen so, dass die Zähne bedeckt sind. Drücke sie leicht aufeinander, falte sie aber dabei nicht nach innen.

Anschmiegen: Lege das Mundstück auf die Lippen und bilde ohne Druck einen dichten Verschluss – versuche quasi mit den Lippen ins Mundstück zu schlüpfen. Deine Lippenmuskeln drücken dabei das Mundstück von den Zähnen weg. Das Mundstück liegt so auf deinen Lippen, dass sein oberer Rand knapp über den roten Teil der Oberlippe hinausreicht; rund 2/3 der Mundstückfläche liegt auf Oberlippe, 1/3 auf der Unterlippe. Zu Beginn solltest du das Mundstück in der Horizontalen mittig positionieren. Erst wenn du ein gutes Grundgefühl für deinen Ansatz entwickelt hast, kannst du auch mit leicht seitlich versetzten Positionen experimentieren (auch einige Profis positionieren ihr Blechblasinstrument leicht neben der Mitte).

Auseinanderziehen: Spanne und verfestige dein Gewebe durch Gegenkräfte. Ziehe Unter- und Oberkiefer auseinander, ohne die Verbindung zwischen deinen Lippen und dem Ring des Mundstücks zu verändern. Öffne zwischen den Zahnreihen einen schmalen Spalt. Schaffe im Mundstück einen kontrollierbaren Durchgang für die Luft.

Im Querschnitt betrachtet sieht der Ansatz wie in der Grafik unten aus. Idealerweise liegen deine Zahnreihen übereinander ausgerichtet und das Mundstück liegt auf dieser Fläche im rechten Winkel auf – dazu musst du den Kopf leicht nach vorne beugen (gleicher Winkel wie die Steigung des Alphorns; siehe die gestrichelten Achsen in der Grafik).

Der so aufgebaute Ansatz ist dein stabiles Gerüst. Wenn du Luft holst, bleibt das Alphorn auf den Lippen. Dazu öffnest du die Lippen seitlich vom Mundstück oder atmest durch die Nase. Manche AlphornbläserInnen bauen zuerst den Ansatz auf und holen erst dann Luft; andere holen Luft für die ersten paar Töne bevor sie den Ansatz formen. Die meisten BläserInnen spielen zudem „nass“. Das heisst, sie befeuchten vor dem Anblasen kurz mit der Zungenspitze die Lippen. Auch dabei bleibt der Ansatz unverändert – du kannst das gut im Video oben sehen. Erst bei der nächsten längeren Pause, falls deine Muskeln dort zu schwächeln beginnen, nimmst du das Instrument vom Ansatz weg.

Stelle dich darauf ein, dass es mehrere Jahre dauert, bis dein Ansatz sauber und stabil ist. In der Tat ist die Arbeit am Ansatz ein Beschäftigung für den Rest deines Alphornlebens. Das liegt daran, dass viele Muskeln zusammenspielen müssen, die du sonst nie bewusst steuerst. Ein gradueller Weg führt zum Ziel: Spiele weiter mit dem Ansatz, den du beim Buzzing intuitiv geformt hast. Versuche dabei bewusst die drei oben beschriebenen Kräfte wahrzunehmen: Wie drückst du die Lippen zusammen? Sind deine Lippen ins Mundstück geschlüpft? Kannst du die Grösse der Öffnung verändern? Wie fühlt sich der Ansatz an, wenn du nach einer gespielten Phrase das Mundstück auf den Lippen lässt? Was machen deine Lippen, wenn du zwischen zwei Phrasen Luft holst? Achte insbesondere darauf, dass du den Ansatz bei Tonwechseln möglichst wenig veränderst – bloss die Spannung sollte sich an die Tonhöhe anpassen. Über die Zeit entwickelst du so mehr Kontrolle über deine Feinmotorik und kannst deinen Ansatz kontinuierlich verbessern. Vielleicht hilft dir auch ein Spiegel und ein Buzzing-Ring als visuelle Hilfe. Und ja, beim Ansatz lohnt es sich besonders, professionelles Feedback einzuholen.

Ein anderes Thema sind Kraft und Ausdauer. Gerade bei AnfängerInnen sind schlaffe Lippen oft der limitierende Faktor. Body-Building für die Lippen kann den Muskelaufbau beschleunigen. Aus eigener Erfahrung kann ich den P.E.T.E. Lippentrainer von Warburton empfehlen (hier ein Video von Mark Zauss, und hier die Gebrauchsanleitung von Warburten); andere schwören auf den Jericho Lippenexpander. Am billigsten ist ein Bleistift: halte ihn mit den Lippen fest, während du daran ziehst. Auch beim Body Building verbesserst du automatisch das Gefühl für die beteiligten Muskeln. Vergiss dabei aber nicht, dass nicht die Kraft deiner Lippen, sondern die Flexibilität deiner Zunge den grossen Unterschied macht.

Noch zwei Sachen, die du unbedingt vermeiden solltest:

  • Pressen: Wenn du dein Alphorn gegen die Lippen presst, erhöhst du damit natürlich die Spannung im Bereich des Mundstücks. Kurzfristig gewinnst du so vielleicht sogar etwas Höhe, aber die Nebenwirkungen sind toxisch: du trainierst deinem Körper einen falschen Ansatz an, du würgst die Durchblutung ab und kannst deine Muskeln nachhaltig schädigen, du verlierst an Beweglichkeit, dein Ton klingt scheusslich. Darum kein Pressen beim Üben! (Wenn du beim Spiel vor Publikum erschöpft bist, ist Pressen zur Blamagen-Vermeidung ausnahmsweise gestattet).
  • Auseinanderziehen der Mundwinkel: Das Alltags-Verständnis von Lippenspannung ist ein breites Grinsen. Seit deiner Kindheit hast du diesen Mechanismus trainiert; deshalb schleicht er sich gerne in deinen Ansatz. Dort stört er jedoch, denn du erreichst keine präzise Kontrolle über die Lippen im engen Bereich des Mundstücks, wenn du sie über ihre ganze Breite spannst. Kontrolliere ab und zu im Spiegel, ob deine Mundwinkel in den hohen Tönen nach hinten wandern, und gewöhne dir das allenfalls subito ab.

Weiterführende Informationen

Einspielen

Ziel der Übung: Finde heraus, welche Einblastechnik für dich funktioniert.

An der Frage des Einspielens scheiden sich die Geister. Hier eine Liste mit unterschiedlichen Methoden. Versuche jede davon während einiger Tage. Achte darauf, wie deine Übungen danach gelingen: Wie konzentriert bist du? Wie ist dein Körpergefühl? Wie klingt dein Alphorn? Wie sprechen die Töne an und wie gelingen die Übergänge? Entscheide dann, welches Warm-Up für dich am besten funktioniert, oder variiere nach Belieben:

  • Lange, tiefe Töne. Das ist die traditionell beim Alphorn praktizierte Aufwärm-Übung. Nehme dir 5-10 Minuten Zeit. Spiele lange, ausgehaltene Töne; dann langsame Bindungen (z.B. die Exercises de chauffe von Robert Scotton). Beginne im tiefen Register (g oder c1) und arbeitet dich in kleinen Schritten im Tonraum nach oben; gehe aber vorerst nicht über c2 hinaus. Achte auf sauberen Klang. Diese Methode hat den Vorteil, dass sie dich „erdet“ – z.B. nach einem aufreibenden Arbeitstag – und einen entspannten, voluminösen Klang fördert. Allerdings wird dein Körper damit auch gleich zu Beginn in die Wohlfühlzone versetzt, aus der er danach nur sehr ungern wieder auftaucht.
  • Buzzing. Du kannst deine tägliche Übungseinheit auch mit 3-5 Minuten Buzzing beginnen. Damit lockerst du die Lippen- und Gesichtsmuskulatur und entwickelst dein Gefühl für den Ansatz. Quasi als Destillat der Methode kannst du einmal über deinen ganzen Tonumfang buzzen (siehe hier). Allerdings haben einige Mühe damit, nach dem Buzzing direkt auf dem Instrument loszulegen.
  • Didgeridoo. Das Didgeridoo eignet sich sehr gut zur Förderung der Lockerheit. Darum ist ein Warm-Up auf dem Didge auch bei Stress-Situationen sehr effektiv. Franz Schüssele bläst sich regelmässig auf dem Alperidoo (Alphorn ohne Handrohr, dafür ein Didge-Mundstück) ein. In der Essenz eine Variante des Buzzing.
  • Tonleitern und Glissandi. Eigentlich so etwas wie Buzzing direkt auf dem Instrument. Ich selber spiele 2-3 Minuten lang Tonleitern. Fokus dabei sind Lockerheit und Geschmeidigkeit (darum auch ein paar Glissandi). Ich spiele zügig in die Höhe, ohne aber die hohen Töne zu pressen (sobald ein Ton nicht anspringt, beginne ich wieder unten). Gut geeignet sind auch Tonbögen, die immer weiter aufsteigen: c‘-e‘-c‘, c‘-e‘-g‘-e‘-c‘, c‘-e‘-g‘-b‘-g‘-e‘-c‘ …. So erschliesse ich mir sehr Zeit-effizient meinen Tonraum und katapultiere mich in einen Zustand hoher Aufmerksamkeit. Für manche ist dieser Ansatz zu sehr „von 0 auf 100“.
  • Nicht einspielen. Wenn du ohne Einspielübungen direkt mit deinem normalen Training loslegst, geschieht das Warm-Up quasi implizit als Teil des Übens. Das ist die radikalste Methode (hier propagiert von Manuel Hilleke, einem Trompeter aus der Schule von Malte Burba). So verlierst du keine wertvolle Zeit. Verlangt aber von dir die Fähigkeit, dich sofort voll zu konzentrieren und korrigierend zu reagieren (Klang, Lockerheit, …).

Wie beim Einspielen gibt es auch unterschiedliche Meinungen über den optimalen Abschluss der täglichen Übung. Manche empfehlen ein bewusstes „Auslaufen“ wie im Sport – während ein paar Minuten entspannt in den tieferen Registern spielen oder die „Pferdeübung“ (wie ein schnaubendes Pferd viel Luft durch die locker geschlossenen Lippen blasen). Auch Massagen der Gesichtsmuskulatur (mit lauwarmem Wasser oder einer fettenden Crème für die Lippen wie z.B. Trompetol) unterstützen die Regeneration.

Sanfter Lippendruck

Ziel der Übung: Versuche verschiedene Hilfstechniken aus, mit denen du dir einen sanften Lippendruck angewöhnst.

Pressen führt nicht zum Ziel, doch ganz ohne Lippendruck geht es auch nicht. Vor allem in den hohen Lagen benötigen alle etwas mehr Druck (hier ein Video dazu). Wo die Grenze zwischen legitimem Druck und Pressen liegt, lässt sich nicht allgemein sagen. Aber es gibt Hinweise: Wie fühlen sich deine Lippen nach einer intensiven Übungseinheit an? Fühlt sich dein ganzer Mundbereich erschöpft an, wie die Beine nach einem Marathon, dann ist alles gut – du hast deine Muskeln trainiert. Sind die Lippen taub und schmerzhaft im Bereich des sichtbaren Mundstück-Abducks, dann hast du zu stark gepresst. Ein anderes Zeichen ist Lippenherpes; zwar spielen da viele andere Faktoren mit, aber häufige Fieberblasen-Episoden können eine Folge von hohem Lippendruck sein.

Um dir einen sanften Lippendruck anzugewöhnen gibt es verschieden Möglichkeiten.

  • Ein verkrampfter Griff führt unweigerlich zu hohem Anpressdruck. Halte darum beim Üben das Alphorn nur sanft mit zwei Fingern.
  • Steigerung: Lege das Alphorn auf die Oberkante deines Zeigefingers. Um den Gegendruck durch das Alphorn-Füsschen zu reduzieren, stelle es auf eine rutschige Unterlage (z.B. lose Blätter). Wenn du ein Carbon-Alphorn hast, kannst du den Becher auch ins Wasser legen (See, Badewanne…).
  • Beim Üben mit dem Spritzkannen-Alphorn oder einem Gartenschlauch kannst du den Lippendruck eliminieren, indem du den Schlauch ein gutes Stück weg vom Mundstück festhältst und/oder den Schlauch im Bogen an die Lippen drückst.
  • Bei den Trompetern wird manchmal empfohlen, das Instrument an die Decke zu hängen. Beim Alphorn eine etwas aufwändige Sache, aber vielleicht einen Versuch wert. Hier ein skeptisches Video dazu.
  • Es gibt auch spezifische Hilfsmittel, wie den Adapter von Arnolds & Son oder den luxuriösen Abstandhalter von Stratos. Vor einer solchen Investition solltest du zuerst die Optionen oben ausprobieren und die Sache allenfalls mit einer kompetenten Lehrperson besprechen.

Binden

Ziel der Übung: Du verbesserst die Koordination von Zunge und Lippen.

Du hast bisher das Anblasen der Töne geübt. Tonfolgen kannst du spielen, indem du jeden Ton einzeln anbläst. Eine andere Möglichkeit ist, Tonfolgen zu binden. Dazu veränderst du deine Zungenform während die Luft ununterbrochen weiterfliesst.

Normalerweise fällt es AnfängerInnen schwerer, die Tonveränderungen zu binden, statt sie anzublasen oder anzustossen. Das liegt daran, dass du seit Jahrzehnten deine Feinmotorik für das Sprechen optimiert hast; die dabei verinnerlichten Mechanismen rufst du beim Anstossen intuitiv auf. Beim Binden hingegen, muss sich deine Zunge mit ungewohnten Bewegungsabläufen anfreunden. Aber gerade diese feine Kontrolle der Zunge hilft dir beim Aufbau einer sauberen Blastechnik weiter. Um deine Bindungs-Kompetenz zu stärken, gehe so vor:

  • Verwende dasselbe Material wie bisher – d.h. du kannst mit deinen aktuellen Etüden oder später auch mit deinen Trainings-Übungen binden. Spiele dazu einfach alle Tonfolgen gebunden.
  • Benutze die Hälfte der Zeit für solche Bindeübungen.
  • Achte auf Präzision! Du musst lernen, den Moment des Tonsprungs genau zu kontrollieren. Übe dazu langsam und mit einem Metronom. Achte darauf, dass der Tonwechsel präzise mit dem Schlag des Metronoms erfolgt. Steigere nur in kleinen Schritten das Tempo – Präzision bleibt wichtiger als Tempo.
  • Achte auf Effizienz! Die Veränderung der Tonhöhe sollte alleine durch die Zunge geschehen, während die Lippen den Ansatz möglichst stabil halten. Der Luft soll gleichmässig und kontinuierlich fliessen. Achte darauf, dass du keine anderen Muskeln zu Hilfe nimmst – kontrolliere dich dazu von Zeit zu Zeit selber im Spiegel während du spielst, filme dich oder halte deine Kinnspitze mit zwei Fingern fest.

In Lektion 8 wirst du Feinsteuerung der Zunge nochmals vertiefter trainieren.