Lektion 5 – Stabile Basis

In dieser Lektion befasst du dich intensiver mit den Grundlagen eines vollen Tones.

Körperhaltung

Vielleicht ist deine Haltung physiologisch suboptimal. Du arbeitest den ganzen Tag sitzend am Computer, und bist dich nicht gewohnt lange zu stehen? Bekommst du beim Alphornspielen Rücken- oder Nackenschmerzen, ist das möglicherweise ein Zeichen für Haltungsschäden. Ich empfehle dir, in diesem Fall physiotherapeutische Hilfe zu suchen. Oft lassen sich Haltungsfehler in überschaubarer Zeit mit ein paar gezielten täglichen Übungen korrigieren. Vernachlässigte Muskeln lassen sich trainieren, verkürzte Muskeln dehnen und verkrampfte Muskeln lockern. Damit gewinnst du an Lebensqualität, das Alphornspiel (stehend) ist nicht länger eine Qual und plötzlich tönt auch dein Horn viel besser.

Ohne doch noch in die Rolle des Physiotherapeuten zu schlüpfen, hier ein paar allgemeingültige Hinweise.

  • Das Ziel lautet immer: locker und doch aufrecht.
  • Stelle das Alphorn in der richtigen Distanz zu dir auf, d.h. so dass das Mundstück genau bis zu deinen Lippen reicht. Wenn du dich zum Mundstück nach vorne biegen musst, steht das Alphorn zu weit weg.
  • Stehe mit beiden Füssen parallel (sie zeigen nicht nach innen oder aussen) und hüftbreit. Vermeide eine asymmetrische Gewichtsverteilung – auch wenn du im Terrain auf unebenem Boden spielst. Versuche auch einmal, barfuss zu spielen – vielen gelingt eine stabilere Haltung, wenn sie den Boden unmittelbar wahrnehmen.
  • Dein Becken spielt bei der Haltung eine zentrale Rolle. Versuche ein Gefühl für dein Becken zu bekommen, indem du es zwischendurch nach unten/vorne und oben kippst – idealerweise sollte die Achse waagrecht laufen. Falls dein Becken nach unten/vorne neigt, versuche es in Richtung Waagerechte nach oben zu kippen; achte dabei aber darauf, dass deine Bauchmuskeln bei der Atmung locker bleiben – das wird dir wahrscheinlich nicht sofort gelingen.
  • Halte deinen Oberkörper so, als würdest du einen grossen Ball (Durchmesser von 1 Meter) umarmen. Die resultierende leichte Krümmung widerspricht der militärischen Vorstellung einer aufrechten Haltung, maximiert jedoch das Lungenvolumen, das dir für die Atmung zur Verfügung steht.
  • Kompensiere Ansatzprobleme nicht mit anderen Muskeln. Du kommst nicht besser in die Höhe, wenn du deine Knie durchdrückst oder die Po-Muskeln anziehst.
  • Halte dein Alphorn immer locker! Verkrampfte Hände, Arme, Brustmuskeln und Schultern sind auf jeden Fall schlecht.
  • Bewege dich! Du kannst leicht im Takt wippen oder mit einer Hand dein Spiel gestisch untermalen. Wechsle zwischen Sitzen und Stehen ab.
  • Ignoriere Ratschläge von selbsternannten Haltungs-SpezialistInnen. Haltungsfehler sind oft Symptome von komplexen Ursachen. Wenn du die Symptome wegdrückst ohne die Ursache zu beheben, machst du das eigentliche Problem meistens nur schlimmer. Wenn du hörst, der wahre Alphornbläser müsse dastehen wie eine Tanne oder ein „kräftiger Senn“, dann denke an die Kampfbläser mit hohlem Kreuz und Bandscheibenvorfällen. Wenn von patriotisch gewölbter Brust und nach hinten gedrückten Schultern die Rede ist, sehe japsende Brustatmung und hartnäckige Nackenschmerzen.

Atmung

Es wird zwischen der Brust- und Bauchatmung unterschieden. Bei der Brustatmung veränderst du das Lungenvolumen mit der Brustmuskulatur, indem du den Brustkorb auseinanderziehst und wieder zusammendrückst. Wenn dich jemand auffordert, die Lunge mit Luft zu füllen und sie dann anzuhalten, benutzt du wahrscheinlich hauptsächlich die Brustatmung. Auch unter Stress haben wir die Tendenz zur Brustatmung. Diese Stressatmung möchten wir beim Alphorn nicht!

Beim Alphornspielen streben wir eine möglichst tiefe, entspannte Atmung an. Das ist die „Bauch-“ oder „Zwerchfell-Atmung“. Dabei atmen wir nicht – wie manchmal als Bild verwendet – in den Bauch (wir atmen immer in die Lunge). Vielmehr bewegt sich unser Zwerchfell nach oben und unten. Beim Einatmen senkt sich das Zwerchfell, dadurch kann sich die Lunge ausdehnen. Gleichzeitig verdrängt das Zwerchfell die Innereien in unserem Bauch, das Bäuchlein steht vor (daher der Ausdruck „Bauchatmung“). Beim Ausatmen wölbt sich das Zwerchfell wieder nach oben und presst damit die Luft aus der Lunge. Wir richten uns auf, gleichzeitig nehmen die Innereien ihren alten Platz ein und der Bauch wird flach. Hier eine Animation von Zwerchfell (rot) und Lunge (rosa):

Animation Atmung mit dem Zwerchfell

Deine Atmung besteht meist aus einer Mischung von Brust- und Bauchatmung. Es geht also nicht darum, die Brustatmung völlig abzustellen, sondern den Anteil der Bauchatmung zu erhöhen. Wenn beim Alphornspiel Probleme mit der Atmung auftreten, hat wahrscheinlich deine Brustatmung Überhand genommen. Oft geschieht dies aufgrund von Ärger oder Nervosität beim Vorspielen. So kannst du deine Zwerchfellatmung verstärken:

  • Sinnliches Einatmen. Manchmal hört man folgenden Ratschlag: „Atme ein, wie wenn du an einem Blumenstrauss riechst.“ Das Problem dabei ist, dass du unterschiedlich an einem Blumenstrauss riechen kannst. Wenn du versuchst, mit deiner Nase die feinen etherische Dämpfe zu differenzieren, saugst du die Luft wohl hauptsächlich in die Brust. Lässt du hingegen mit geschlossenen Augen den betörenden Duft des Blumenstrausses in deinen Körper fliessen, dann übernimmt das Zwerchfell wie von selber.
  • Konzentriertes Ausatmen. Vielen fällt die Zwerchfellatmung leichter, wenn sie sich auf die Ausatmung konzentrieren und das Einatmen einfach geschehen lassen. Stelle dir beim Ausatmen einen Schwamm im Bauch vor, den du bis zum letzten Tropfen ausdrückst, warte zwei Sekunden, und lass dann die Luft wieder herein. Meist gelingt die Bauchatmung so wie von selbst.
  • Zwerchfell-Training. Wenn du mit der Zwerchfellatmung Mühe hast, kannst du spezifische Übungen zur Lockerung und Stärkung des Zwerchfell-Muskels machen. Ein gutes Beispiel findest du hier.
  • Achtsames Atmen. Viele östliche Entspannungs- und Meditationstechniken drehen sich um die Atmung in den Körpermittelpunkt. Entsprechende Praxis lässt sich auf das Alphorn übertragen. Auch beim Einschlafen kannst du achtsames Atmen praktizieren. Vielleicht hilft dir auch eine Unterweisung aus dem Zen: Atme nicht, sondern lass den Buddha in dir atmen! So wird aus dem Klang des Alphorns ein transzendentales „Ohhhmmmmhhh“.

Weiterführende Informationen

  • Zusätzlich zur Animation hier noch ein Video aus dem Tomographen.
  • Wenn du beim Blasen wenig Kraft hast, hier eine häufig vorgeschlagene Übung. Mehr zum Thema findest du im Kapitel „Stütze“ in Lektion 9.

Dynamik-Training

Ziel der Übung: Du kannst die Dynamik deiner Töne präzise kontrollieren.

Haltung und Atmung bestimmen die Dynamik deiner Töne. Konzentriere dich deshalb bei Dynamik-Übungen bewusst auf dein Zwerchfell.

Die einfachste Variante ist auch hier, bei deiner täglichen Arbeit mit den Etüden die Dynamik zu variieren. Spiele dieselbe Übung einmal piano, dann forte. Wechsle die Dynamik zwischen zwei Noten oder Taken ab. Spiele crescendo oder decrescendo, etc. Bleibe dabei aber präzise – definiere zuerst die zu spielende Dynamik (z.B. „diesen Teil ff, dann diesen Teil pp“) und führe sie dann mehrmals genau so durch.

Hier zusätzlich eine spezifische Dynamikübung. Spiele sie mit dem Metronom möglichst langsam und achte vor allem darauf, dass crescendo und decrescendo linear verlaufen (das Volumen nimmt über genau vier Schläge kontinuierlich zu – also nicht z.B. erst ein schneller Volumenanstieg und dann schon beim dritten Schlag auf dem Maximum). Versuche diese Übung 2-3 Wochen lang täglich 5-10 Minuten auf unterschiedlichen Tonhöhen.

Du kannst solche Übungen auch selber gestalten, indem du kurze Tonfolgen mit einem Dynamik-Muster ergänzt. Es geht dabei nicht um besonders originelle Melodien, sondern darum, die Dynamik maximal präzise und kontrolliert wiederzugeben. Unten ein paar Ideen; alternativ findest du hier eine passende Sammlung mit solchen und ähnlichen Übungen.

Notenmaterial finden

Seit Lektion 3 hast du nun mit Etüden gearbeitet. Wahrscheinlich hängen dir diese schon aus dem Hals. Wenn du neben den Übungen zusätzlich (!) ein paar Stücke einstudieren möchtest, kann ich dir folgende frei zugängliche Anfängerliteratur empfehlen: Einfache Stücke von Hans-Jürg Sommer und die Solo-Sammlung Alphornklänge 2 von Kurt Schmid.

Generell kommst du so zu Notenmaterial für Alphorn:

  • Kaufen. Es gibt leider meines Wissens noch kein „Alphorn-Songbook“, d.h. eine kompakte Sammlung mit den beliebtesten Alphorn-Stücken. Um gute Literatur zu finden, kann dir vielleicht die Liste von Patrick Kissling Cotti, die Website alphornmusig.ch oder der Youtube-Kanal von Alex Zehnder helfen. Auch die Publikation des Westschweizer Alphornbläser Vereinigung finde ich zum Kennenlernen verschiedener französischsprachiger KomponistInnen sehr interessant. Die Stücke findest du dann meistens im Eigenverlag der Autoren (z.B. bei Hans-Jürg Sommer, Armin Imlig, Peter Baumann, Gaby Lätsch, Samuel Kunz, Walter Klaus) oder bei Anbietern von Alphornnoten (z.B. bei Edition Marc Reift, Stretta, noten.ch, Live Musik Esslingen, blasmusik-shop.de, abel.at) – dort kannst du die Auswahl nach Spielniveau filtern. Von den Sammlungen kann ich dir das Alphornbüechli von Gassmann (DER Klassiker schlechthin) ans Herz legen.
  • Online frei zugänglich. Eine wachsende Zahl von Komponisten stellt ihre Stücke inzwischen gratis online. Einige benutzten dafür den Bereich auf naturtoene.ch), andere haben eine eigene Website (z.B. Robert Oesch, Peter Baumann, Christoph Gnos, André Mathis, Beat Weibel, Kurt Schmid, Fredy Fankhauser, Hisanori Maehara, Daniel Zemp, Hans Stettler). Manche Komponisten klagen, die Gratis-Mentalität schaufle der Alphornmusik das Grab. Es ist aber auch so, dass sich das Verlegen von Alphornmusik wirtschaftlich einfach nicht lohnt. Letztlich möchte ein Komponist, dass seine Stücke gespielt werden. Das Gebot der Fairness verlangt dann immerhin, dass die Aufführungen auch gesetzeskonform gemeldet werden (in der Schweiz bei der SUISA) – über die Tantiemen erhalten die Komponisten dann zumindest einen Teil der finanziellen Wertschätzung. Auf naturtoene.ch hast du auch die Möglichkeit, mit einer freiwilligen Spende, deine Lieblings-Komponisten direkt zu unterstützen.
  • Sharing. Oft werden Noten gegenseitig ausgetauscht bzw. im Unterricht, Workshops oder bei Alphorntreffen als Einzelblätter oder improvisierte Sammlungen verteilt. In den Verbänden und Vereinen laufen solche Sammlungen unter dem Namen „Gesamtchor“; manche davon landen dann auch im Netz (zum Beispiel hier oder hier). Viele ältere Kompositionen sind heute nur noch so erhältlich. Legal ist das alles aber nicht. Gemäss Schweizer Recht dürfen zwar „Lehrer/innen an Schulen“ Kopien für ihre Schüler/innen erstellen, aber bei der Kopie ganzer Werke im Rahmen eines Workshops befinden sich frei schaffende Alphornlehrer in einer sehr dunkelgrauen Zone. Alles andere ist tief schwarz. Wer lautstark verkündet, er/sie leiste einen Beitrag an unser Kulturerbe, sollte auch das geistige Eigentum respektieren!

Bei den meisten Stücken geht die erste Stimme bis g2. Falls dein Tonumfang dafür noch nicht ausreicht, wirst du dich auf die 2. Stimme konzentrieren müssen. Im Sinn einer Übung ist das vollkommen in Ordnung. Falls du dein Spielerlebnis anreichern möchtest, findest du im nächsten Kapitel praktische Hinweise für Play-Alongs.

Weiterführende Informationen

  • In meinem Blogpost zu Alphorn und Urhberrecht erläutere ich im Detail die urheberrechtlichen Fragen beim Umgang mit Alphorn-Noten.